Vienna City Marathon 2014:

So hat Markus Zeidler seine persönlichen 42,195 Kilometer erlebt

Warum Marathon laufen unmännlich ist


Text: Markus Zeidler


Dies ist mein erster Marathon. Nicht in dieser Saison, sondern in diesem Leben. Meine persönliche Zielsetzung ist entsprechend eher konservativ: die Distanz von 42,195 Kilometern in unter vier Stunden bewältigen. Eine Menge Zeit, um sich über all die Dinge um einen herum Gedanken zu machen. Hier ein paar davon: 

Kilometer 13: Der Muskelkater im Ohr

Die Kunst des Marathonlaufens ist eine Kunst des Ausblendens und Ignorierens.Vor allem von Alarmsignalen wie Schmerz und anderen unliebsamen Reizen; des gelegentlichen Bedürfnisses, sich zu übergeben oder des verführerischen Gedankens, einfach stehen zu bleiben und nie mehr wieder eine körperliche Anstrengung zu unternehmen, die jene einer Radtour in einen nahegelegenen Biergarten übersteigt.

Oder – und das ist kein Scherz – von akustischen Puls- und GPS-Armbanduhr-Signalen!

 

Man muss sich dazu folgendes vorstellen: an einer Grossveranstaltung wie dem Wien Marathon nehmen etwa 40.000 Läufer teil, und es ist davon auszugehen, dass wenigstens jeder Dritte davon ein entsprechendes elektronisches Gadget an seinem Handgelenk trägt. Multipliziert man diesen Wert nun mit der Mannigfaltigkeit an Gründen, auf die ein solches Gerät seinen Träger mittels Piepton hinweisen kann (Pulsgrenzen wurden unter-oder überschritten; die Geschwindigkeit ist zu niedrig/zu hoch; es wurde eine bestimmte Anzahl an Kalorien verbraucht; es wurde eine bestimmte Teilstrecke zurückgelegt; der Akku der Uhr ist bald leer; der Akku des Läufers ist bald leer) und führt sich vor Augen, dass man, wie in meinem Fall, satte vier Stunden lang zur Mithörerschaft verdammt ist, gewinnt man vielleicht einen vagen Eindruck von der oft unterschätzten Lärmbelastung während eines Marathons.

 

Wenn Euch also mal jemand scherzhaft erzählen sollte, ihn würde nach so einem Lauf jeder einzelne Körperteil schmerzen ausser den Ohren: das ist eine Lüge!

 

Kilometer 40: Boulevard of broken dreams

Stellte man die Anzahl der an der „Herausforderung Marathon“ Scheiternden im Verhältnis zur zunehmenden Kilometerzahl grafisch dar, erhielte man eine zunächst flache, am Schluss aber explosionsartig ansteigende Kurve.

Das ist freilich wenig überraschend. Eine erhebende Erfahrung ist die reale Sichtung dieses Umstands aber trotzdem nicht. Da liegen Leute mit schmerzverzerrten Gesichtern mitten auf der Strasse und halten sich zitternd die zu Stein verkrampften Oberschenkel; andere sitzen enttäuscht und tränenüberströmt auf dem Bordstein, die Startnummer zerknüllt zwischen den Fäusten; andere versuchen immer wieder, auf die Beine und zurück ins Rennen zu finden - vergeblich. Es ist der Boulevard der zerbrochenen (Marathon-)Träume. Ich empfinden echtes Mitgefühl mit all den armen Teufeln, die so weit gekommen sind, so tapfer gekämpft haben und es trotzdem nicht geschafft haben. Zugleich aber gibt mir die Tatsache, selbst bisher von aller Unbill verschont geblieben zu sein, den nötigen Kick für die letzten 2,195 Kilometer zwischen mir und dem Heldenplatz.

 

Kilometer 0: Marathonlaufen ist unmännlich

Startblock fünf. Es ist die gefühlt endlos lange Wartezeit auf den Startschuss zum Vienna City Marathon, während der ich endgültig zu einer ernüchternden Erkenntnis gelange: Langstreckenlauf ist keine sehr männliche Angelegenheit.

Zumindest, wenn man seinen Fokus auf das verstörende Exterieur der meisten Ausübenden legt. Ich meine, würde Burt Reynolds etwa freiwillig und in aller Öffentlichkeit mit einem Müllbeutel bekleidet herumlaufen? Sich die Brustmatte um die Nippel herum rasieren und mit Pflastern bekleben? Oder in Hosen schlüpfen, die knapper geschnitten sind als die Outfits von Miley Cyrus? Eben.

Ich weide mich köstlich an dem breiten Spektrum hemmungslos zur Schau getragener Lächerlichkeit um mich herum, stocke dann aber, als ich mehr beiläufig an mir selbst hinabblicke: Ich muss zugeben, mit meinen kniehohen Kompressionsstrümpfen und eingeölten Beinen auch nicht vorbehaltlos auf das Lexikon-Bild zur Begriffserklärung "maskulin" zu passen. Ich breite den Deckmantel des Schweigens über die Angelegenheit und schiebe mich langsam mit der Masse in Richtung Reichsbrücke.

 

Kilometer 17: Herr Feleke und ich

Getu Feleke hat soeben die Ziellinie überlaufen. Und unmittelbar danach über die Bande gekotzt. Der 27-jährige Äthiopier ist Sieger des Wien Marathons – und kann sich im Gegensatz zu mir bereits das erste Feierabend-Bierchen genehmigen. Der Mann hat die gesamte Strecke in mehr oder weniger der Hälfte der Zeit bewältigt, die ich dafür benötige.

Aber immerhin: mein Abstand zum Schlusslicht des heutigen Tages ist durchaus noch als komfortabel zu bezeichnen. Dieses braucht für den Marathon nämlich exakt so lange wie Herr Feleke und ich zusammen.

 

Kilometer 32: Die Familie meines inneren Schweinehundes

Eigentlich hab ich ihn ja wirklich lieb gewonnen, meinen inneren Schweinehund.

All die Schlachten, die ich in den vergangenen Jahrzehnten gegen ihn geschlagen habe, schweissen irgendwie halt doch zusammen. Weil er aber begriffen hat, dass er inzwischen wesentlich häufiger eines von mir auf die Mütze bekommt als umgekehrt, versucht er mich mit immer wieder neuen, noch kreativeren und raffinierteren Taktiken zu überrumpeln.

 

So auch heute. Da kommt er nämlich nicht alleine in die Landeshauptstadt, sondern bringt gleich seine gesamte Sippe mit. Nebst Schwiegereltern. Hinterhältig setzt er diese zwischen Kilometer 32 und 40 auf mich an, dort wo eigentlich der Mann mit dem Hammer warten sollte. Dieser Schla-Wiener!Aber was soll ich sagen: ich kenne ihn ja inzwischen gut genug, meinen Schweinehund, und bin gut gewappnet. Entsprechend unschön verläuft unser erstes Familientreffen, und es tut mir tatsächlich auch ein bisschen Leid, dass ich ihm und seiner Sippe nacheinander einen kräftigen Tritt in den Hintern verpassen muss. Ein andermal wieder. Ich freu mich drauf. Denn wie gesagt: ich mag meinen Schweinhund wirklich. Und seine Familie ist echt in Ordnung!

 

Kilometer 23: Wunde Achseln

Verdammt, wundgerieben! Nicht, wie man vermuten möchte, an den Füssen oder den dafür eher empfänglichen Regionen der Körpermitte, sondern: unter den Achseln. Unter beiden! Wenn mich das bloss heute Abend beim Bierkrug heben und zuprosten nicht zurückwirft...

 

 

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