Vienna City Marathon 2014:

So hat Martin Lindner seine persönlichen 42,195 Kilometer erlebt

Der Nicht-Läufer

 

Text: Martin Lindner

 

Einen Marathon? Niemals. Ihr spinnst doch. Ich ruiniere mir doch nicht meine Haxen. Außerdem bin ich eh kein Läufer. Den Halbmarathon schaff ich grad so ums Arschlecken und das reicht. Weiter muss ich nicht, will ich nicht, brauch ich nicht.

 

So oder so in etwa war meine Reaktion als Stefan vor etwa 5 Monaten mit dem Vorschlag um die Ecke kam, wir sollten alle einen Marathon als Vorbereitung zum "Boahart"-Projekt laufen. Und nun steh ich da. Mitten in Wien, inmitten von 42.000 anderen Menschen von denen jeder seine eigene Geschichte hat, warum er heute hier steht und laufen will. Und leider muss ich zugeben: es ist geil. Mich friert es, ich muss alle 5 Minuten zum Pinkeln, ich springe auf und ab und beneide Menschen die in Müllsäcken rumlaufen. Aber ich finde es tatsächlich geil und es gibt kein Zurück mehr.

Die Gedanken kreisen um die Vorbereitung. Reicht das Training? Mein längster Lauf waren 28 km. Da fehlen noch ein paar Meter zum Marathon. War die dreiwöchige Zwangspause dank Frühjahrsgrippe doch zu lang? Was mache ich wenn ich merke es geht nicht mehr? Halten die Knie? Ich bin doch eigentlich gar kein Läufer. Mein Bauch hängt immer noch unterm T-Shirt raus. Da kann ich noch so viel trainieren. Kein einziges Kilo hab ich abgenommen. Bier schmeckt mir eben besser als Molkesojadrinks oder was es da sonst so geben mag. Es ist ein hin und her der Gefühle. Weil man nicht weiß, was über diese Distanz alles passieren kann. 4:30 h. Das ist mein Ziel.

 

Die Oberschenkel zwicken, die Knie schmerzen

 

Der Start ist so unspektakulär, dass man gar nicht merkt, dass man schon läuft und nicht mehr geht. 20 Minuten nach der ersten Welle der Spitzenläufer dürfen wir auch los. Ich lauf mit Marco. Wir haben das selbe Ziel. Ankommen. Martin, ein Fußballer aus Wien hängt sich an uns ran. Er läuft alleine und braucht Unterstützung bzw. Unterhaltung oder Pacemaker. Alles läuft wie geplant. Wir ratschen und tratschen und schauen uns die Stadt an. Viel sieht man ja nicht. Komische Strecke. Aber der Puls passt. Das Tempo passt und die Zeit verfliegt wie in keinem der Trainingsläufe zuvor. Nur meine Beine machen mir Sorgen. Kurz vor dem Halbmarathon spüre ich schon meine Beine. Die Oberschenkel zwicken und meine Knie schmerzen. Aber das tun sie sowieso immer. Ich versuche nicht darauf zu achten und den beiden anderen zu folgen. Aber es wird langsam härter. Bald kommt Kilometer 27. Da steht Angi. Da gibt´s Gel und a Bussal. Nur nicht langsamer werden.

Kilometer 30. So weit war ich noch nie. Ich spüre ich komm den beiden nicht mehr hinterher. Und jetzt kommt auch noch die verdammte Allee. 5 Kilometer pure Tristesse. Eine schnurgerade Straße ohne Ausblick. Nur Bäume und Läufer. Eine endlose Schlange vor und neben mir, Das sind die, die auf der Gegenspur schon auf dem Rückweg sind. Dort sehe ich Markus. In Trance nehme ich seinen Gruß entgegen und schreie - irgendwas. Er hat 4 Kilometer Vorsprung und läuft an mir vorbei. Verdammt was ist los? Wo ist Marco? Die Straße hört und hört nicht auf. Das macht keinen Spaß. Ich wusste es doch, ich bin kein Läufer. Meine Beine schmerzen und ich fühl mich unsäglich ausgelaugt. Es sind noch 10 Kilometer zu laufen. Wie soll das denn gehen?

 

Bei Kilometer 35 gibt’s Cola und Gel. Ich muss durchhalten, einfach nur durchhalten. Ich seh Marco nicht mehr. Ich seh nur meine Wunschzeit dahinschwinden. Es ist nicht mehr zu schaffen. Unmöglich, das Tempo zu halten. Ich sehe nur noch erbärmliche Läufer um mich. Viele laufen schief, gehen, sitzen oder humpeln gar dahin. Da vorne ist Kilometer 35. Ich trinke, ich esse, ich versuche wieder anzulaufen. Es schmerzt. Gar nicht gut. Sehe Simone die noch so unglaublich frisch aussieht und hab keine Lust mehr. Entweder aufgeben oder Gas geben. So kann es nicht weitergehen. Der stetige Verfall bricht mir am Ende das Genick. Aufgeben ist keine Option. Jetzt nicht mehr. So weit. So viel Training. Ich bringe den Auswechselspieler.

 

Der mentale Auswechselspieler

 

Es ist meiner Ansicht nach unmöglich, dass eine Person allein eine Marathondistanz in einem Stück schaffen kann. Spitzensportler und gut trainierte Läuferseelen ausgenommen. Es dauert einfach zu lange. Es bleibt keine andere Möglichkeit als sich zwischendurch mental auszuwechseln. Danach gibt es keine Knieschmerzen mehr, keine schweren Beine, keine Verspannungen im Rücken. Alles weg und auf geht’s. Tempo aufnehmen und halten. Es ist unglaublich. Ich überhole alle. Alles was sich vor mir bewegt wird überholt. Bloß nicht mehr langsamer werden. Ein oranges T-Shirt. Ich sehe Marco. Ich sehe wie er flucht. Ich sehe wie es ihm geht wie mir vor 20 Minuten. Ich muss ihn einholen. Das kann funktionieren. Bloß nicht stehen bleiben. Keine Getränkestände mehr. Das Anlaufen nach einem Stopp ist das Schlimmste. Nur noch Laufen hilft gegen die Schmerzen.

Als ich bei Marco und Martin ankomme ist die Überraschung der beiden groß. Ich bin so froh wieder dabei zu sein. Ich schreie aus voller Lunge „Endspurt Purschen, Endspurt!“. Es sind noch 3 Kilometer. Aber das ist jetzt egal. Alles ist egal. Ich könnte noch 40 laufen. Ich bin ein Läufer. Und wie. 3 Kilometer pures Adrenalin. Die Zuschauer. Das Heldentor. Der Zieleinlauf. Unglaublich. Geschafft! Mit hochgereckten Armen überqueren wir zu dritt die Ziellinie. Bloß nicht stehen bleiben. Nur weitergehen. Die Fußsohlen schmerzen. Man spürt jeden Kieselstein unter den Sohlen. Aber egal. Man hat es geschafft. Unglaublich wie viele Menschen sich das antun. Viele die weit korpulenter sind. Man läuft und wundert sich bis ins Ziel wie all die Menschen um einem herum diese Distanz schaffen und ist selber stolz es ebenfalls geschafft zu haben. Alleine unter 42.000 begeisterten Menschen. Und erst jetzt schaue ich nach der Zeit. 4 Stunden und 21 Minuten. Phänomenal. Oder zumindest gut genug fürs erste.

Das Zusammenkommen nach dem Lauf war unglaublich. Jeder der Sportfreunde hat es geschafft. Jeder hat sein individuelles Ziel erreicht. Die Freude ist riesig und keiner denkt daran sich ins Bett zu legen. Das muss gefeiert werden. Und endlich gibt es wieder Fleisch und Bier. Endlich ein Bier. Das ist doch kein Zustand für einen Bayern!

 

Adieu ihr Nudeln und unsägliches Powerade. Wir sehen uns das nächste mal wieder.

Denn ich bin ein Läufer - mit Auswechselspieler. Der Chiemsee kann kommen...

 

 

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